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Wie ich im Erdboden verschwand um warum sich das lohnt. Spoiler: Der Totenkopf ist nicht echt.

Ibiza und Formentera sind nicht nur über der Erde wunderschön. Kaum jemand kennt ihre verborgenen Schätze: Höhlen, zum Teil groß wie Säle, mit Jahrmillionen alten Tropfstein-Formationen. Ein paar Höhlenforschende tauchen in die faszinierenden Unterwelten der Inseln ab. Wer sich traut, kann sich ihnen anschließen. Redakteurin Carina Neumann (Text) und Jon Izeta (Fotos) erlebten das unterirdische Abenteuer.


Kaum jemand rechnet damit, dass Ibiza und Formentera beeindruckende Tropfsteinhöhlen jenseits der Touristenattraktion in Sant Miquel bieten. Diese, bei Jesús, hat ihren Einstieg nur wenige Meter neben der Straße.


Vier Worte, die nie so viel Bedeutung hatten wie heute… „Leidest du unter Klaustrophobie?“ Etienne Rösner fragt mich fast beiläufig, als sie meinen rechten Fuß in das großzügige Hosenbein eines Blaumanns bugsiert. „Nein“, sage ich tapfer – und Sonja Riera Tur schließt den Helm über dem Kloß in meinem Hals. Die beiden drahtigen Frauen sind Mitglieder des Clubs der Höhlenforschenden „Grupo Espeleológico Pitiuso“ und Guides für Kletter-Touren durch Ibizas Unterwelten. Unser Fotograf Jon und ich bekommen heute eine persönliche Kostprobe. Bereits seit 1975 haben sich inzwischen rund 30 Mitglieder der Erforschung der geheimnisvollen Unterwelten von Ibiza und Formentera verschrieben. Still und im wahrsten Sinne des Wortes weitgehend im Verborgenen. Unzählige Höhlen haben sie entdeckt, 15 sind sicher zu begehen. Wir werden eingeladen, abzusteigen…


Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als wir uns in der Umgebung von Jesús einem rustikalen Steintor nähern, das direkt in den finsteren Schlund eines Felsens führt. Wir treten ein, das Tageslicht bleibt hinter uns zurück. Etienne knipst ihre Helmlampe an, dann meine. Die Lichtkegel werden in den kommenden knapp zwei Stunden unsere einzigen Lichtquellen sein. Im Inneren der Höhle ist es dunkel, warm und stickig. Doch dafür wird man entschädigt, wenn man das Licht durch den Raum schweifen lässt: Von der Decke und den Wänden hängen Tropfsteine, die einem Fantasy-Film entsprungen sein könnten. Zum Teil dick wie Säulen. In sämtlichen Formen und Erdfarben führen sie hier seit Millionen von Jahren ein zeitloses Eigenleben in Dunkelheit und Stille. „Tropfsteinzapfen brauchen für einen Zentimeter Wachstum teils Jahrzehnte“, erklärt Sonja. Ein Blick auf die massiven Formationen lässt ihr ungeheures Alter erahnen. Die Säulen, so die Guides, entstehen durch das Herabtropfen von mineralreichem Wasser. Es beginnt mit Stalaktiten, den Zapfen, die von der Decke herunter wachsen. Dort, wo das Wasser am Boden auftritt, entstehen Stalagmiten, die wiederum nach oben wachsen. Irgendwann verschmelzen diese miteinander. Das Farbenspiel entsteht in den Jahrtausenden durch verschiedene Mineralien-Anreicherungen des Wassers.


Von links nach rechts: Redakteurin Carina Neumann mit den Höhlenforscherinnen Sonja und Etienne.


Ich gerate längst ins Staunen und Schwärmen, da sagt Etienne: „Das ist erst der Eingang. Jetzt geht es runter in die große Höhle“. Ich mustere misstrauisch den Felstrichter unter mir, der in einem Loch endet, das gerade mal etwas breiter ist als meine Schultern. Da soll ich durch. Rücklings…


„Tief durchatmen“, sagt Etienne. Atmen? In dem engen Loch? Doch Sonja und Etienne kennen die Höhle wie ihre Westentasche und wissen genau, wo man wie durch kommt und bei welchen Steinen und Vorsprüngen man Hände und Füße sicher zum Klettern einsetzt. Sicherheit in Höhlen gehört zu den fundamentalen Leitsätzen des Clubs der Höhlenforschenden. Auf den Touren lernen die Teilnehmer*innen, sicheres Höhlen-Klettern zu beherrschen. Im Nu bin ich mit den Tricks der Guides durch den engen Spalt geschlüpft und finde mich in einer Art Zwischenetage wieder. Schneckenförmig verschwinde ich immer tiefer im Erdboden. Ein zweites Loch bahnt den Weg in die große Höhle. Es ist ein wenig größer und die Steine bilden fast eine natürliche Treppe – nach dem ersten Abstieg ein Kinderspiel für mich. Doch mein Triumph ist wie weggeblasen, als der Lichtstrahl meiner Helmlampe auf einen Totenkopf fällt. Ein kurzer Schrei entweicht mir, unterbrochen vom Gekicher der Guides und unseres Fotografen: Der Totenkopf ist aus Plastik. Umringt von ein paar abgebrannten Teelichtern bietet er trotzdem einen schauerlichen Anblick. Etienne und Sonja sammeln die Kerzen ein und stecken sie in eine Tüte. „Leider hat zu den meisten Höhlen jeder Zutritt – und nach den Wochenenden finden wir oft Flaschen, Zigaretten und Kerzen", sagt Etienne. Auch wie man sich in Höhlen richtig verhält und zu ihrem Schutz beiträgt, vermitteln die Guides bei ihren Touren.


Nach dem Schreck kann ich die imposante Schönheit der Höhle genießen. Sie ist noch viel größer und höher als die Eingangshöhle, und neben den riesigen Tropfsteinformationen fühle ich mich plötzlich ganz klein. Die glatten Tropfsteine, Kristalle und das Wasser an den Wänden – alles funkelt im Licht der Lampe. Hier dringt kein Funken Tageslicht mehr ein und es herrscht absolute Stille. Einen Moment lang horchen wir nur ins Nichts...


Auf dem rutschigen Untergrund ist fester Stand sehr wichtig. Die Höhlen-Guides zeigen genau, worauf zu achten ist.


Etienne deutet auf einen kleinen Tausendfüßler an der Wand: „In Höhlen wie dieser leben nur wenige Insektenarten, die sich an die ungewöhnlichen Lebensumstände angepasst haben. Sie sind hell pigmentiert und blind, orientieren sich ausschließlich über ihren Geruchs- und Tastsinn“, erklärt sie. In einigen Höhlen leben auch Fledermäuse. „Auf den Inseln gibt es unzählige kleine Höhlen“, sagt Sonja. „Betreten kann man davon etwa 15. Die größte von ihnen befindet sich in der Nähe der Cala d´en Serra bei Portinatx“. Viele Eingänge sind sehr versteckt, erklärt sie: „Manchmal verschwinden wir durch ein kleines Loch neben der Landstraße und die Leute schauen uns aus ihren vorbeifahrenden Autos verblüfft an“, lacht sie. Ich verliere komplett mein Gefühl für Zeit. Wir klettern über Terrassen und Vorsprünge zu den beeindruckenden Formationen. Es sind aber nicht nur die Riesen, die faszinieren. Zum Teil sind die gewachsenen Mineraliengebilde fein wie Frost-Kristalle. Eine Berührung und die Schönheit ist für immer verloren.


Der Schutz der Höhlen ist eine weitere Aufgabe, die sich die Forscher stellen. Deshalb halten sie deren Lagen und Eingänge geheim, und sie schauen sehr genau darauf, wen sie in die größten Geheimnisse einweihen. Souvenirjäger würden jede Pracht schnell unwiederbringlich zerstören. Die Höhle, in der wir uns jetzt befinden, ist für Anfänger gut geeignet und bietet trotzdem unvergessliche Eindrücke. In die echt „heiligen Hallen“ kommen nur Mitglieder des Clubs… Nachdem wir die Höhle ausführlich erkundet haben, machen wir uns wieder auf in Richtung Tageslicht. Schritt für Schritt geht es zurück an die Oberfläche und schon bald stehen wir wieder vor dem Steintor. Die Sonne blendet und die Umgebung wirkt plötzlich ungewohnt laut. Wie nach einem Kinobesuch muss man auch nach einer Höhlenbesichtigung erst einmal wieder ankommen. Während der etwa zwei Stunden waren wir nicht nur unter der Erde, sondern auch in einem Mikrokosmos ohne Sonnenlicht und Pflanzen, und dennoch mit einer ganz eigenen, atemberaubenden Schönheit. „Ja, dort unten sind wahre Schätze verborgen“, sagt Etienne. „Und man wächst an der körperlichen Herausforderung. In jedem von uns steckt eben auch ein kleiner Adrenalin-Junkie“, schmunzelt sie. Das kann ich so unterschreiben! Für 50 Euro bietet der „Club der Höhlenforschenden“ Entdeckerkurse mit Höhlenerforschungen an, wie die, die ich gerade erlebt habe. Dabei werden auch Grundlagen und Techniken des Höhlenkletterns vermittelt. Versicherung und Ausrüstung sind in dem Betrag eingeschlossen. Wen die Faszination der Unterwelt einfängt, der kann dem Club beitreten. Dann warten auch die ganz großen unterirdischen Schätze. Die Beitrittsgebühr beträgt 25 Euro. Als Club-Mitglied können Sie unter anderem sämtliches Kletter-Material nutzen und in Kursen das große Einmaleins des Höhlenkletterns erlernen.


Größe und Schönheit sind überwältigend, Dunkelheit und Stickigkeit beklemmend. Allein durch Wasser und Mineralien hat die Natur fantastische Skulpturen geschaffen.


Mehr Infos zum Höhlenklettern gibt es auf der Facebook-Seite des Clubs: Grupo Espeleológico Pitiuso. Direkt erreichen können Sie die Forscherinnen auch telefonisch: Die deutsch-sprachige Etienne unter (+34) 676 682 413 oder die Spanierin Sonja unter (+34) 670 363 302. E-Mail: grupoespeleologicodelaspitiusas@hotmail.com.


Dieser Artikel erschien im Jahr 2016 in der April-Ausgabe des Monatsmagazins IbizaHEUTE. Fotos: Jon Izeta

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